Tschüß Wanaka, hallo Nelson
Schritt eins: Nach Nelson kommen
Klingt ja erstmal nicht weiter bedenklich. Inzwischen habe ich ein Auto. Es ist angemeldet, straßentauglich und versichert. Aber halt auch alt und stand lange
einfach nur auf einer Schaffarm im Paddock rum.
Da ich am Vorabend meiner geplanten Reise zur Spitze der Südinsel meinen Abschied mit Jess und ihren Mitbewohnern schöntrinken musste, war am nächsten Morgen nicht daran zu denken, 10,5 Stunden nach Nelson durchzufahren.
Also legte ich einen Zwischenstopp in Fairlie bei einem Freund ein. Nach einer super erholsamen Nacht (ein riesiges Gästebett ist doch eine Spur besser, als die 30$-secondhand-Couch von Jess Mitbewohnern), ging es dann weiter im Landesinneren an Christchurch vorbei und über den Lewis Pass hoch in den Norden. Ich war froh, alleine im Auto zu sein. Von Zeit zu Zeit musste ich einfach herausschreien, wie unfassbar schön dieses Land ist. Am späten Nachmittag kam ich endlich in Nelson an.
Schritt zwei: einen Job finden
Überall ließt man, dass Erntehelfer in Neuseeland händeringend gesucht werden. Ein Kinderspiel also! Mein euphorisches Ziel innerhalb eines Tages einen Job zu finden konnte ich nicht ganz erreichen, aber nach einigen E-Mails und Telefonaten hatte ich zwei Vorstellungsgespräche am Donnerstag in meinem Kalender vermerkt. Am Donnerstagnachmittag saß ich vor zwei Arbeitsverträgen und musste mich für einen entscheiden. Ein kleiner Familienbetrieb und die größere Schwesterfirma. Gewonnen hat letzendlich der größere Betrieb, weil man bei Jobantritt coole Sicherheitsschuhe gestellt bekommt und ich mir meine Chancen Freunde in Nelson zu finden in der Firma größer ausrechnete. Äpfel pflücken... Wer hätte gedacht, dass das mal mein Job werden würde?!
Schritt drei: eine WG finden
Fehlte also nur noch die perfekte Wohnung, um mein Glück in Nelson vollständig zu machen und mein neues Leben zu komplettieren. In meiner Vorstellung die leichteste Aufgabe. Nach meinem Post in einer Wohnungsgruppe für Nelson auf Facebook quoll mein Postfach förmlich über vor Nachrichten. Einen Tag später, also am Freitag an hatte ich diverse Besichtigungstermine. Und fühlte mich mehr und mehr wie in einem schlechten, aber doch unterhaltsamen Film. Google Maps geleitete mich zuverlässig durch die verschieden Stadtteile Nelsons. The Wood, Washington Valley, The Brook, Annesbrook, Tahunanui. Einige Treffen fühlten sich eher nach einem seltsamen Tinderdate als nach einer Wohnungsbesichtigung an. Andere trieben mein kleines Auto, das inzwischen auf den Namen Skippy getauft wurde, an seine Grenzen. Schmale, sich windende Straßen mit steilen Hängen brachten es wortwörtlich zum qualmen und sorgten bei mir für Schweißausbrüche. Anfahren am Berg war ja noch nie meine Lieblingsdisziplin und ich war sehr dankbar für die Handbremse, die mich aus der ein oder anderen unangenehmen Situation rettete.
Die letzte Wohnungsbesichtigung des Tages war definitiv die beste. Ein Haus in The Brook. Gelegen am Hang. Balkon ums Haus herum. Die Mitbewohner waren zwar nichts Besonderes, aber das Zimmer schön und die Miete unschlagbar günstig. Von allen vorherigen Besichtiungen hatte ich bereits ein euphorisches "Du kannst einziehen" bekommen, aber am letzten Zimmer war ich definiv mehr interessiert und sagte den anderen ab, in der Erwartung mein Zimmer gefunden zu haben. Weit gefehlt, denn kurz darauf erhielt ich die Nachricht "Hey Linda, wir finden dich super und würden gern mit dir rumhängen, aber wir haben Sorge, dass vier Leute im Haus eine zu viel sind und werden nur zu dritt hier wohnen. Komm gern vorbei, wann immer zu willst, aber das Zimmer bleibt vorerst leer." Euer Ernst?! Na super! Also blieb mir nichts anderes, als weiterzusuchen. Am Sonntag hatte neue Liste mit WG's abzuarbeiten und fand eine weitere super coole Wohnung in der Nähe des Strandes ungefähr auf halber Strecke zwischen der Innenstadt Nelsons und meinem neuen Job in Hope. Die zwei Jungs schienen allerdings ein kleines bisschen zu cool für mich mit ihren Motorrädern und coolen Hobbies, außerdem waren viele Leute besagtem Zimmer interessiert. Ich rechnete mir meine Chancen gering aus und zog fürs Erste ins Hostel. Immer ein guter Ort, um neue Freunde zu finden. Zumindest in der Theorie. In der Praxis sieht das schon etwas schwieriger aus, wenn man einen sehr physichen Job annimmt, bei dem man um 7:30 Uhr anfängt, eine halbe Stunde zur Arbeit fahren muss und nach einem Tag in prallen Sonne oder im Graupelregen total fertig um kurz vor neun versucht im Sechsbettzimmer zu schlafen. Ich war nicht ganz darauf vorbereitet. was harte körperliche Arbeit mit mir machen würde. Einige neue Freunde gefunden habe ich trotzdem und schon am Dienstag bekam ich das okay für die Wohnung am Strand, in die ich eine Woche später zog.
Inzwischen wohne ich bereits zwei Wochen mit Tom und Dom zusammen, habe mir mein Zimmer mit Fotos, einer Licherkette und Kerzen gemütlich gemacht und gewöhne mich an die Arbeit. Meine Schultern bringen mich nach einem Tag mit dem Pflückkorb nicht mehr fast um und ich kann nach der Arbeit noch für ein par Stunden Dinge unternehme, ohne im Stehen einzuschlafen. Außerdem werde ich besser darin, die richtigen Äpfel zu pflücken. Das ist nämlich gar nicht so einfach, wie ich vor dem Job dachte. Natürlich ist es auch keine Raketenwissenschaft, aber eben nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Und auch die Menge an Äpfeln, die ich pflücken kann, wird mit jedem Tag etwas mehr. Mein Teamleiter ist großartig und der für uns zuständige Treckerfahrer Larry bringt mich jeden Tag zum lachen.
In jedem Fall habe ich mit meinem Umzug nach Nelson die richtige Entscheidung getroffen. Aufs Bauchgefühl ist eben Verlass.