"Ja, wie jetzt? Du bist immer noch in Neuseeland? Wie kann das denn sein?" oder "Sind die Bilder, die du postest aktuell? Da sind die Mindestabstände ja gar nicht eingehalten und du bist auf nem fucking Festival??"
Stimmt! Es ist wirklich verrückt, aber ich bin immer noch in Neuseeland. Das hätte ich mir nie im Leben so erträumen können, aber die Neuseeländische Regierung hat mein Touristenvisum wegen der geschlossenen Grenzen zweimal verlängert und mir heute bestätigt, dass mein Arbeitsvisum genehmigt wurde. Bis zum 3. August darf ich also noch im Paradies bleiben. Allerdings mit der Auflage als Erntehelfer dem Land unter die Arme zu greifen. Ein Job, den ich zu Hause in Deutschland wirklich niemals in Betracht gezogen habe. Hier freue ich mich aber riesig über die Möglichkeit noch eine Weile dem Coronawahnsinn in Europa entfliehen zu können und kann es kaum erwarten endlich mal wieder etwas Geld zu verdienen. Ich habe es zwar geschafft, die letzten 10 Monate über die Runden zu kommen, das Konto sieht aber zugegebenermaßen inzwischen sehr traurig aus.
Fast 11 Monate bin ich nun schon hier und obwohl Neuseeland nicht meine erste Liebe ist, wie viele von euch wissen, fühlt sich dieses Land, insbesondere die Südinsel, inzwischen wie ein Zuhause an.
Das Jahr 2021 ist für mich im Gegensatz zu vielen anderen verdammt gut gestartet. Silvester habe ich mit Freunden in Wanaka gefeiert. Es war keine besonders spektakuläre Nacht. Wirklich eher durchschnittlich, aber ich mag mich nicht beschweren, weil sich Feuerwerk überm See mit Freunden gucken, in einer Bar Bier trinken und von Fremden um Mitternacht umarmt werden für viele von euch bestimmt wie blasse Erinnerungen aus einem früheren Leben oder die erfundene Lebenssituation in einem Paralleluniversum anhört.
Am ersten Wochenende in 2021 bin ich mit Freunden die Westküste hoch nach Nelson gefahren und dort auf das Bay Dreams Festival gegangen. Der hohe Ticketpreis hätte mich fast abgeschreckt, aber da ich Anfang Januar noch davon ausgegangen bin, Ende Februar wohlmöglich nach Hause fliegen zu müssen und Festivals in Europa ja nun mal einfach auf unabsehbare Zeit der Vergangenheit angehören, habe ich mich überreden lassen. Zum Glück! Wir hatten den absolut besten Tag. Ich hätte mir keine bessere Crew wünschen können. Meine Freundinnen Jess, Alex und Vinny haben den Tag unvergesslich gemacht, das Wetter war Bombe, die Musik großartig (obwohl ich viele Künstler vor dem Festival nicht kannte) und wir haben ausgelassen getanzt als würde niemand zusehen, bis unsere Beine nicht mehr konnten.
Nur eine Woche später, bin ich mit meiner Freundin Hannah (einer berühmten Kuhreiterin - kein Witz!) aus einer super spontanen Laune heraus nach Milford Sound gefahren. Milford Sound ist einer dieser gehypten Touristen-Hotspots in Neuseeland. Und das absolut zu Recht! Wir sind am späten Samstagnachmittag los und waren nur 19 Stunden später, am Sonntag, zurück in Wanaka im See schwimmen. Neunzehn vollgepackte Stunden, von denen wir gut 10 Stunden gefahren sind und 7 Stunden geschlafen haben, bis uns die Sandflies buchstäblich von Hannahs Ladefläche vertrieben haben. Und obwohl das jetzt sicher ziemlich beschwerlich und anstrengend klingt, war es ein großartiger Ausflug und eine unvergessliche Erinnerung, die ich nicht missen möchte.
Mir war schon seit längerer Zeit klar, dass ich wirklich fast alles tun würde, um in Neuseeland zu bleiben und nicht in den realen Wahnsinn der Pandemie außerhalb dieser besonderen Inseln zu müssen. Meine Cousine drückte es vor einer ganzen Weile sehr passend aus: "Jetzt haben wir wirklich eine Pandemie und eine totale Ausnahmesituation mit Lockdown in Deutschland, bei der alle im Land ziemlich gleichermaßen betroffen sind. Dieses Thema beschäftigt wirklich jeden, nur du machst nicht mit. Kannst gar nicht mitreden." Ja Marey, du hast absolut recht! Und ich will daran so total ehrlicherweise nichts, aber auch gar nichts ändern. Am zweiten Januar, beim Besuch des Wanaka Rodeos (ich weiß, total abgefahren, aber hier Normalität) wurde ich auf eine temporäre Lösung gestoßen. Hannah's Exfreund gab mir die Nummer von einem Weinbetriebsmanager, der mich wiederum auf eine Firma stieß, die mir einen Job anbot und mich auf ein spezielles Visum aufmerksam machte.
Ende Januar machte ich mich dann auch schon auf den Weg nach Christchurch, um die letzten Unterlagen für meinen Visumsantrag zu besorgen. Dazu gehört ein Röntgenbild, eine medizinische Untersuchung, eine beglaubigte Kopie meines Reisepasses und so einiges Anderes.
Der Trip nach Christchurch lief total reibungslos. Viel besser als erwartet, weil das erste Auto, das für mich hielt direkt von Tarras nach Christchurch fuhr. Und zu meinem absoluten Glück konnte ich dann auch direkt in dem gleichen Haus übernachten, wie meine Mitfahrgelegenheit. Nach einem spontanen Ausflug über den Arthur's Pass an die Westküste und einem einwöchigen Besuch einer guten Freundin in Mount Somers ging es in einem großen Bogen über Oamaru und Invercargill zurück nach Wanaka.
Und das Glück hörte gar nicht auf. Mein Visum wurde genehmigt, ich habe endlich nach so langer Zeit richtig gute Freunde gefunden, mit denen ich wandern und zum allerersten mal riverfloaten war. Dabei treibt man in Schwimmwesten auf aufblasbaren Pooltieren und Luftmatratzen den Fluss runter, während man Bier trinkt. Und auch der Sommer hielt richtig Einzug, sodass wir fast jeden Tag in einem See oder Fluss schwimmen gehen konnten.
Außerdem darf ich das Auto eines Freundes für meine verbleibende Zeit in Neuseeland leihen. Trampen wird zwar immer eine meiner Lieblingsreiseformen bleiben, aber ich weiß den Komfort eines eigenen Autos inzwischen sehr zu schätzen. Es ist einfach ein ganz anderer Luxus überall so lange anhalten zu können, wie man möchte und Tage besser zu planen! Dazu kommt, dass ich in den letzten 11 Monaten ganz schön viel Kram angesammelt habe und froh bin, alles einfach im Auto unterbringen zu können und immer dabei zu haben.
Ein besonderes Highlight meiner Zeit in Wanaka war eine Wanderung mit 15 Leuten zur Brewster Hut. Einer meiner Freunde hatte das als Abschiedsparty der anderen Art geplant, weil sein Visum auslief und er nach Australien fliegen musste. Die zweieinhalbstündige Wanderung beginnt mit einer Flussdurchquerung und führt dann ziemlich steil bergauf, inklusive Klettereinheiten an Baumwurzeln, bis man die Baumgrenze erreicht und auf dem Bergkamm bis zur Hütte hochkraxelt. Eine sicherlich absolut spektakuläre Angelegenheit. In unserem Fall allerdings eher mysteriös und nebelverhangen. Bei der Hütte angekommen waren wir alle durchnässt und kalt. Aber der mitgebrachte Alkohol sorgte schnell für Abhilfe und mit 15 Leuten in einem Raum wird es auch ohne Ofen relativ warm. Zumindest bis es Zeit fürs Bett wurde und Jon, dem von zu viel rotem Goon (Wein im Plastikbeutel) etwas schlecht war, 3 der 12 Matratzen und den Schlafraum unbenutzbar machte. Die restliche Nacht war ziemlich kalt und unruhig auf dem Boden des Aufenthaltsraums. Am nächsten Morgen war der Berg um uns weiß: Schnee im Sommer. Trotz Wetter und Erbrochenem war der Trip einfach unvergesslich und eine mega geile Erfahrung. Es sind eben immer die Menschen, die aus jeder Situation das Beste machen.
Wanaka wird mir sehr fehlen. Besonders meine Freunde, aber auch die Berge und Seen und ein kleines bisschen die Schafe.
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Uncle Didi (Dienstag, 02 März 2021 03:32)
Huhu Linda. Ein paar Vorteile hat die Pandemie auch: Man muss die untere Gesichtshälfte nicht waschen (wegen der Maske) und da Besuch nicht erlaubt ist, braucht man die Wohnung nicht putzen! :-D Bleib bloß in Neuseeland, in New York ist eine Mutation aufgetaucht, gegen die die jetzigen Impfungen wohl nicht helfen. Alles Gute. Gruß vom Didi