Als ich am 8. März in Hamburg ins Flugzeug gestiegen bin, war die Welt noch völlig in Ordnung. Vor mir lagen ca. 36 Stunden Reisezeit, aber ich war sehr zuversichtlich und aufgeregt, wenn ich an die kommenden Abenteuer dachte.
Befor ich in das Flugzeug nach Doha einsteigen durfte, musste ich noch einen Flug aus Neuseeland heraus buchen. Ich entschied mich kurzerhand für einen Flug von Auckland nach Brisbane am 15.
April. Das Australien die Grenzen für die nächten sechs Monate schließen und Virgin Australia den Flug wieder stornieren würde, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Auch nicht, dass sich auf
meinem Flug von Doha nach Auckland eine Dänin befinden würde, die später in Neuseeland die Diagnose Covid-19 bekommen würde.
Als ich in Christchurch im Nieselregen landete, war die Welt für mich noch in Ordnung. Es war so schön, Blätter an den Bäumen zu sehen und so unwirklich, dass an vielen schon rote und gelbe
Farben die sich wandelnde Jahreszeit ankündigten. Es war nicht besonders warm, aber das war okay. Die ersten zwei Nächte verbrachte ich im Rolleston Hostel direkt in der Innenstadt. Ich kannte es
schon von meinem letzten Besuch in Christchurch. Es ist ein schönes altes Haus, zumindest von außen. Von innen ist es nur alt. Die Betten quietschen, in der Dusche schimmelt eine Ecke vor sich
hin und der Aufenthaltsraum besticht mit wenig Charme durch bunte Plastikstühle und ein paar alte zerschlissene Sofas. Es ist nichts Besonderes, aber eben auch nicht besonders teuer.
Nach einem Ausflug ins Museum und einem langen Spaziergang durch den botanischen Garten beschließe ich, dass es Zeit ist, die Stadt hinter mir zu lassen.
Ich checke aus, wuchte meinen großen Rucksack auf meine Schultern und meinen kleinen vorne drauf und laufe los. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, die Riemen schneiden in meine Schultern,
meine gesund geglaubten Gelenke beginnen zu schmerzen und ich verfluche mich leise selbst. Warum um alles in der Welt ist mein Rucksack so schwer? War es wirklich nötig vier verschiedene Bikinis
einzupacken? Brauche ich wirklich eine Jeans, eine Sporthose und eine Jogginghose? Warum habe ich die Chucks eingepackt, wenn ich doch eh die Wanderstiefel trage? Und hätte ich meine zwei
Flaschen Cider, die Äpfel, die Erdnussbutter und den Reis vielleicht doch einfach in dem "free food" Korb des Hostels lassen sollen?
Es dauert über eine halbe Stunde, bis ich eine Stelle erreiche, von der ich einigermaßen trampen kann. Denke ich zumindest. Als nach 10 Minuten noch immer kein Auto angehalten hat, kommt ein
freundlicher Mitarbeiter der Autowäscherei, vor der ich stehe zu mir gelaufen. Offenbar ist es Autofahrern verboten innerhalb durchgezogener orangener Linien zu halten. Also fluche ich leise,
schultere meine Rucksäcke und mache mich auf den Weg die Straße runter. Nur wenige Augenblicke später hält neben mir ein Auto. Es kommt mir bekannt vor. Der Fahrer erklärt, er wäre eben an mir
vorbeigefahren und hätte spontan beschlossen umzudrehen und mich doch mitzunehmen. Ich erkläre ihm, dass ich nach Akaroa möchte. Er sagt, dort gäbe es nichts als Fish n Chips und ich würde mich
dort schnell langweilen. Er gibt mir seine Nummer, damit ich mich melden kann, falls ich auf dem Weg zurück nach Christchurch steckenbleiben sollte. An einer guten Stelle setzt er mich ab und
nach kurzer Zeit hält ein französisches Pärchen mit ihrem Campervan. Sie sind auf dem Weg zum Delfinschwimmen in Akaroa. Wir unterhalten uns den ganzen Weg über und ich schließe beide sofort ins
Herz. Obwohl es mir manchmal schwer fällt, mich auf unsere Gespräche zu konzentrieren, denn die sich windende Straße bietet atemberaubende Ausblicke auf die Bucht und die umliegenden Hügel. Und
dann sind wir auch schon am Ziel angekommen. Die Sonne scheint, es ist warm und der Rucksack erscheint mir schon etwas leichter. Ich gehe in den Fish n Chips Shop und bestelle mir gleichnamiges
Mittagessen. Dazu trinke ich L&P. Ich bin in Neuseeland angekommen. Und der Tag wird noch so viel besser werden!
Ich werde zusammen mit Perrine aus Akaroa abgeholt und zum abgelegenen Farmhostel Onuku gebracht. Sie ist auch im Mädchenzimmer untergebracht. Mit ihr erkunde ich am Nachmittag die Umgebung. Es
ist so unfassbar schön hier. Die Luft ist bereits kalt und riecht nach Herbst, aber die Sonne ist warm und solange der Wind zahm ist, kann man es in kurzer Hose und Top hervorragend aushalten.
Perrine fotografiert so ziemlich jedes einzelne Schaf auf unserem Weg den Hang hinauf, aber wir haben es ja nicht eilig. Abends laufen wir zum urigen Steinstrand hinunter, lauschen den Wellen und
dem Wind und trinken Bier. Was für ein perfekter Tag. Ich bin froh eine Freundin gefunden zu haben, wenn auch nur für einen Tag. Perrine reist am nächsten Tag ab und ich hänge dafür mit Jeks rum.
Wir trinken Kaffee in Akaroa, führen tiefgründige Unterhaltungen, sitzen barfuß mit einer Gitarre auf dem Rasen und backen einen Apfelkuchen zusammen (diesen lasse ich beim rausholen aus dem
Backofen fallen, aber er schmeckt trotzdem super mit dem Vanilleeis, das die anderen Reisenden bereitwillig auf den Markt schmeißen). Jeks kommt aus der Schweiz, aber wir sprechen auch wenn wir
allein sind nur englisch miteinander. Irgendwie fühlt sich das richtig an. Bis ich am nächsten Tag mit ihm im Auto zurück nach Christchurch sitze und meine beste Freundin anruft. Das Coronavirus
hat nun auch die Cayman Islands erreicht und sie braucht dringend jemanden zum reden und eine zweite Meinung. Danach fühlt sich irgendwie nichts mehr richtig an und wir wechseln ins deutsche. Als
wir das Radio anmachen, um uns etwas abzulenken, laufen Nachrichten. Es geht um das Coronavirus.
In Christchurch laufe ich über eine Stunde zum Hostel. Meine Beine sind offenbar etwas fitter geworden. Der Rucksack ist schwer, aber immerhin schmerzt mein Knöchel nicht mehr.
Abends treffe ich mich mit meinem Kumpel Ben und lerne seine Freundin bei einem Bier kennen.
Er bietet an, mich am nächsten Tag nach Timaru zu fahren. Ben ist allerdings leider leicht verpeilt. Er hat vergessen zwei Amerikaner vom Flughafen abzuholen. Jackpot. Eine Vollbremsung und einen
U-Turn später geht es für mich also wieder allein weiter. Daumen hoch, lächeln und warten bis jemand anhält. Zum Glück hat Ben vorher noch seine Nana (Oma) angerufen. Sie nimmt mich spontan für
ein oder zwei Nächte bei sich auf. Was für ein Glücksgriff das war, begreife ich erst langsam.
Timaru ist schöner, als ich erwartet hätte. Der Hafen erinnert mich an Hamburg, der Strand ist malerisch und die Altstadt versprüht einen ganz eigenen
ländlichen Charme. Es gibt Parks mit viel Grün und süße Häuser.
Gut eine Woche später ist die Unsicherkeit und die Angst wegen des Virus überall zu spüren und bin ich immer noch in der Gegend um Timaru. Ich wohne inzwischen bei Bens Eltern. Es ist der
perfekte Ort für eine freiwillige Selbstisolation, denn sie leben auf einer Farm eingebettet inmitten grüner Hügel und Klippen. Von dort fährt man mit dem E-Bike etwas über eine Stunde in die
Stadt. Auf dem Rückweg bergauf und mit Gegenwind braucht man etwas länger. Besonders wenn die Batterie zur Neige geht und sich das E-Bike letztendlich in ein schweres Fahrrad verwandelt.
Bens Vater hat mit mir einen Roadtrip zum Mount Cook gemacht, seine Mutter ist eine exzellente Köchin und aus irgendeinem Grund, der vermutlich Nächstenliebe heißt, haben die beiden beschlossen
mich so lange aufzunehmen, wie es nötig ist. Bei diesem Virus könnte das länger sein, als den beiden lieb ist. Was für eine Ironie das wäre... Da wollte ich dem Winter in Deutschland entkommen,
nur um den Neuseeländischen Sommer zu überspringen und erneut in die kalte Jahreszeit hineinzuschlittern. Ich fühle mich ein bisschen wie ein zugelaufener Hund. Aber auch so, als wäre ich
zumindest der richtigen Familie zugelaufen, wenn ich schon nicht bei meiner sein kann.
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Uncle Didi (Freitag, 27 März 2020 01:52)
Hi Linda, schön das du sicher untergekommen bist. Ich wäre jetzt auch gerne auf der Farm, sitze aber seit drei Wochen im Home-Office fest. Bleib gesund. :-) Didi