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Ich war noch niemals in...

Dieser Blog Eintrag war nicht geplant. Ein Tag in New York war nicht geplant. Überhaupt sollte eigentlich alles anders laufen, aber letztendlich bin ich einfach nur dankbar. Dankbar für eine überraschende Möglichkeit, die sich ungefragt bot, für die Menschen in meinem Leben und die Eindrücke. Wie schön, dass das Leben einfach passiert. So unvorhergesehen wie es eben mag. 

 

Aber alles auf Anfang: ich sitze am Flughafen auf den Cayman Islands und werde über Lautsprecher aufgerufen und in einen separaten Raum geführt. Mein Gepäck soll durchsucht werden. Eine zufällige verdachtsunabhängige Intensivkontrolle sozusagen. Der Sicherheitsbeamte scheint überrascht, dass ich dabei so freundlich und unkompliziert bin. Andere Fluggäste tragen ihren Unmut über diese Unannehmlichkeit offen zur Schau. Mir ist es egal. Ich habe noch viel Zeit, bevor ich in den Flieger nach New York steigen muss. Außerdem hat der Sicherheitsbeamte sicher auch nicht allzu viel Freude daran, sich durch meine nassen Bikinis und sandigen Handtücher zu wühlen. Die Sonne scheint und ich hätte fast nichts dagegen, wenn er tatsächlich etwas Verdächtiges in meinem Koffer findet und ich noch ein paar Tage bei meiner besten Freundin bleiben darf. 

 

In New York ist es anders. Ich bin müde von meinem Nickerchen im Flugzeug und habe nur zwei Stunden Zeit zum Umsteigen. Die Passkontrolle dauert ewig. Ich bin ziemlich nervös. Muss nämlich noch meinen Koffer abholen und wieder aufgeben. Wie ich kurz darauf herausfinde muss ich mit dem Koffer sogar noch zu einem anderen Terminal. Dafür muss ich mit einer Flughafenbahn fahren. Mit rasendem Herzen und schwitzigen Händen komme ich nur Minuten später am Check-in Schalter von Virgin Atlantic an. Er ist geschlossen. Eine letzte, wie ich anmerken möchte, sehr unfreundliche Mitarbeiterin packt gerade ihre Tasche am Informationsschalter der gleichen Airline. Für meine aufkeimende Verzweiflung hat sie weder Zeit noch Nerven. Sie schüttelt nur voll Unverständnis den Kopf. Nein, der Koffer könnte nicht noch irgendwie ins Flugzeug geladen werden. Nein, sie könnte mir jetzt wirklich nicht weiterhelfen und überhaupt hätte sie Feierabend. Und weg war sie. 

Nein, denke ich. Nein! Das kann doch wohl nicht wahr sein. Ich lasse mich neben meinen Koffer auf den kalten Boden sinken. Wie oft habe ich Albträume gehabt, in denen ich meinen Flug verpasse. Ich höre in mich hinein. Fühlt es sich an wie im Traum? Wäre jetzt nicht der Zeitpunkt aufzuwachen? Aber ich wache nicht auf. Es ist Zeit etwas zu tun. Irgendwas. Ich kann schließlich nicht für den Rest meiner Tage am Flughafen in New York bleiben. Es ist dunkel und kalt draußen. Herbst eben. Ich versuche einen neuen Flug zu buchen, aber meine Kreditkarte funktioniert aus irgendeinem Grund nicht. Ich rufe meine Mama an. Und meinen Bruder. Der düst vor der Arbeit noch schnell zu meinen Eltern und bucht den Flug für mich. Bei der Gelegenheit skype ich noch schnell für 2 Minuten mit meiner einjährigen Nichte. Ich habe so ein Glück, eine Familie zu haben, auf die ich mich immer verlassen kann. Die Verzweiflung ist weg und Dankbarkeit durchflutet mich. Der neue Rückflug ist zwar teuer und ich ärgere mich über die unnötigen Kosten und die verlorene Zeit an diesem wirklich nicht sehr spektakulären Flughafen, aber die Nacht sieht schon nicht mehr ganz so düster aus. Ich kaufe mir ein Sandwich bevor das letzte Geschäft zumacht und versuche eine wenigstens nicht allzu unbequeme Position zum schlafen zu finden. Die Füße liegen auf einem Stuhl, meine Hüfte auf dem Koffer und meine Schultern ruhen zusammen mit meinem Kopf auf einem von Armlehnen begrenzten runden Sitzplatz. Es ist zwei Uhr morgens. An Schlaf ist nicht zu denken. Es ist kalt und wirklich ungemütlich. Gegen halb sechs muss ich aber doch eingenickt sein, denn als ein Sicherheitsbeamter des Flughafens mich darauf hinweist, dass ich hier nicht schlafen darf, weil der Starbucks, vor dem ich liege, jetzt gleich aufmachen wird, brauche ich einen Moment, um zu mir zu kommen. Realitätscheck: Ich bin immer noch in New York. Mein Flug geht um 23 Uhr. Ich habe große Angst den nächsten Flug wieder zu verpassen. Ich schaue auf mein Handy. Darauf leuchtet eine Nachricht von Sandra. Sie hat mit einer New York verliebten Freundin gesprochen und rät mir, das One World Trade Center anzusehen. Das erscheint mir eine gute Idee. Also gebe ich meinen Koffer am Flughafen in eine Gepäckaufbewahrung und mache mich mit dem Skytrain auf den Weg in die Stadt. Ich bin so müde, aber auch so aufgekratzt. Es fühlt sich an, als wären meine Nerven ultra sensibel, so als würden sie wortwörtlich blank liegen. Die Menschen in New York scheinen sehr freundlich und hilfsbereit. Ein älterer Herr erklärt mir den U-Bahn Plan und gibt mir Tipps für den Tag, Ein junger Typ hilft mir beim Kauf des Tickets und eine Frau beschreibt mir bereitwillig den Weg. 

 

Eine Stunde später laufe ich die Treppe aus einem U-Bahnschacht nach oben und bleibe abrupt stehen. Meine Beine bewegen sich kein Stück mehr. Ich atme ein. Es riecht nach Abgasen und frischem Kaffee und Fast Food und Menschen und noch vielen anderen Dingen, die ich nicht zuordnen kann. Der Blick ist nach oben gerichtet. Meine Augen bleiben an den Gebäuden kleben, an dem geschäftigen Treiben, an dem Puls dieser Stadt. Der Wind ist kalt und schneidend und die Menschen um mich herum wirken so viel besser an alles angepasst als ich. Sie tragen stylische Trenchcoats und bewegen sich wie selbstverständlich durch das Gewirr aus anderen Menschen, Hunden, Autos und Baustellen. Ich fühle mich deplatziert und so wirke ich auch. Ich kann es in den Augen der vorbeieilenden Menschen sehen. Alles an mir schreit förmlich "Lost Tourist". ich kann förmlich hören, wie sie denken "das ist ihr erstes mal in New York" oder "ach Gottchen, scheint zu viel für sie zu sein". Vielleicht messen sie mir aber auch keine weitere Bedeutung zu.  

 

Ich bin die einzige, die hypersensibilisiert und doch wie ein Zombie durch die Straßen irrt und nicht so ganz begreifen kann, wo sie gerade ist. Der Eintritt für das One World Trade Center ist schon saftig, aber wer weiß, wann ich wieder nach New York kommen werde. Nächstes mal würde ich das übrigens gern selbst entscheiden. 

 

Die Wände, der Boden und die Decke des Fahrstuhls sind Bildschirme. Zuerst geben sie den Blick frei auf sumpfige Wiesen und ein paar Holzhütten. Je höher der Fahrstuhl steigt, desto mehr Gebäude werden errichtet. Glas und Beton lösen Holz und Natur ab und man sieht die Metropole im Zeitraffer entstehen. Oben angekommen steht man vor einer Wand, auf der ein Kurzfilm über New York gezeigt wird. Sobald dieser endet, fährt die Wand nach oben und gibt den Blick auf die Skyline frei. Die Aussichtsplattform beginnt ab dem 100. Stockwerk zwischen 386 und 406 Metern Höhe. Das war ganz schön überwältigend. Besonders in meinem Zustand. Von dort oben kann man entspannt zur Freiheitsstatue blicken, den Times Square erahnen und weit über die Brooklyn Bridge hinwegsehen. Ich bin tatsächlich in New York. Nach einem überteuerten Croissant und einem Kaffee, setze ich mich auf eine der Bänke und lasse die Szenerie auf mich wirken. Es gibt so viel zu entdecken. Ich laufe viele Runden um die Aussichtsplattform und sauge die Eindrücke auf. Die Stadt wirkt so riesig und doch klein von hier oben. Nach ein paar Stunden habe ich das Gefühl meine Eintrittskarte nun ausreichend genutzt zu haben und steige in den Fahrstuhl nach unten. Dieses mal wird der Fahrstuhl aus dem Gebäude herausgerissen und fliegt um das One World Trade Center in einer sich abwärtswindenden Spirale herum, bevor die Bildschirme wieder schwarz werden und die Türen aufgehen. Mir ist schwindelig. 

 

Ich nehme eine Rolltreppe nach unten und lande in einer riesigen Halle. Sie sieht aus, wie das innere eines Wals. Oder ein Raumschiff. Eigentlich wollte ich nur aus dem Gebäude raus, aber ich muss falsch abgebogen sein. Was ist das für ein Ort? Vor mir ist offensichtlich ein Zugang zu einer U-Bahn Station. Sehr gut gekleidete Geschäftsleute strömen aus dem Zugang. Sie tragen alle schwarze Mäntel oder Jacken. Bin ich in einem geheimen Ministerium aus Harry Potter gelandet? Ich gehe weiter. Um mich herum sind riesige leuchtende Werbetafeln und vor einem hippen Café haben sich wichtig aussehende Menschen in eine endlose Schlange gestellt. Sie haben offensichtlich gerade Mittagspause. Das ist alles ein bisschen viel. Irgendwann erreiche ich das Ende des Gebäudes. Künstliche Palmen stehen in der Halle, aber draußen kann ich echte Bäume mit gelbem Herbstlaub sehen und die Freiheitsstatue, die in einiger Entfernung von Booten angesteuert wird. Ich trete durch die Glastür nach draußen. Kalte Luft schlägt mir entgegen. 15 Grad sind wirklich nicht gerade warm, wenn man aus der Karibik kommt. Ich will zur St. Paul's Chapel. Sie ist die älteste Kirche in Manhattan. Ich laufe durch Häuserschluchten. Alles ist bunt. Graffiti überall. Die Kirche sieht unwirklich aus, als ich sie endlich finde. Sie liegt inmitten eines alten Friedhofs. Die windschiefen verwitterten Grabsteine werden nur durch einen rostigen Zaun vom Bürgersteig und dem geschäftigen Treiben getrennt. In Frieden zu ruhen stelle ich mir anders vor. Ein bisschen wirkt es, als hätte nur jemand vergessen die Halloween Dekoration wegzuräumen. Um die Kirche zu betreten, muss man zuerst durch einen Metalldetektor und die Tasche durchsuchen lassen. Ich werfe nur einen kurzen Blick in das alte Gebäude. Die Menschen im Kirchenschiff bereiten sich auf einen Gottesdienst vor und ich will nicht stören. Als ich versuche, mich unbemerkt aus der Kirche zu schleichen, spricht mich ein Pastor and und fragt, warum ich schon wieder gehe. Ich sage, ich hätte gestern meinen Flug verpasst und würde nun mehr als rechtzeitig am Flughafen sein wollen. Er sagt, dass es zwar unglücklich sein, meinen Flug verpasst zu haben, aber man wüsste ja nie wozu das gut ist. Hätte ich meinen Flug planmäßig bekommen, hätte er nicht mit mir sprechen können. Ich sage ihm nicht, dass ich ihm zwar nicht zu Nahe treten will, aber das Gespräch jetzt wirklich nicht das Geld wert ist, dass ich am nächsten Tag meinem Bruder zurückzahlen werde. Stattdessen lächle ich nur und laufe auf die Brooklyn Bridge zu. Es soll heute noch regnen und ich wäre dann gern schon wieder in der trockenen Bahn. Auf dem Weg dorthin begegne ich einer jungen Frau, die einen Hund spazieren führt. Der Hund läuft direkt auf mich zu und springt mich an. Verzückt beuge ich mich zu ihm runter und beginne ihn zu streicheln. Er heißt Boris, das erfahre ich vom anderen Ende der Leine und seine Besitzerin ist wohl genauso blond wie ich. Das führt dazu dass Boris blonde Frauen liebt. Seine Begleitung verdient sich etwas Geld dazu, indem sie ihn ausführt. Wir verstehen und auf Anhieb und unterhalten uns ein paar Minuten während die Leute an uns vorbei strömen. Für mich ist das, was New York ausmacht. Freundliche Menschen an jeder Ecke. Es ist laut. Zu laut. Und bunt und schön und hässlich. Es ist so voller Menschen dass man selbst anonym ist. Nur ein Teil des chaotisch erscheinenden Treibens. Und genau das gibt mir das Gefühl wieder dazu zugehören. 

 

Ich laufe mit und gegen den Strom über die Brooklyn Bridge, finde meine U-Bahn Station und verlasse diese niemals schlafende Stadt. Natürlich bin ich viel zu früh am Flughafen. Ich habe nur eine winzige Kostprobe von New York bekommen, aber mein Appetit ist geweckt. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Großcousine Annette (Sonntag, 23 Februar 2020 03:34)

    Einfach nur toll... Danke!!!!

  • #2

    Amelie (Samstag, 12 Februar 2022 08:40)

    Der Bericht gefällt mir! Super!