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Pirates of the Caribbean

Wenn die beste Freundin auf eine karibische Insel auswandert, wird einem keine Wahl gelassen. Man muss sie besuchen. Das ist unumgänglich. 

Also buchte ich kurzerhand einen Flug auf die Cayman Islands.

Für diese Reise ließ ich meinen lieb gewonnenen Rucksack zu Hause und packte meine wenigen Strandkleider, Bikinis und Flip Flops zusammen mit den Sachen für Nele in einen geliehenen Koffer. Darunter waren Klamotten, die sie zurückgelassen oder vergessen hatte, ein Piratenhut, eine Lichterkette und einige Geschenke von Freunden (das Highlight: eine selbst gebastelte Brotdose).  

Die Reise war lang. Zuerst ging es von Hamburg nach London. Von dort weiter nach Miami und mit einem letzten Flugzeug rüber nach Grand Cayman. Beim aussteigen aus dem Flugzeug hat man ein Gefühl, als würde man gegen eine heiße feuchte Wand laufen. Im Flughafengebäude lief jedoch wieder die Klimaanlage und ich war froh, meinen riesigen grünen Kapuzenpulli, den ich überallhin mitnehme, noch nicht ausgezogen zu haben. Meine beste Freundin wartete bereits barfuß mit einem Bier vor der Ankunftshalle. Die Nachtluft roch warm und tropisch und um den Parkplatz des Flughafens wuchsen überall Palmen. Am Himmel war der Mond zu sehen. Mein Herz hüpfte. Kennt ihr das, wenn man jemanden so vermisst, dass es schon fast weh tut? Meine beste Freundin nach eineinhalb Jahren endlich wieder zu sehen, machte mir nur noch deutlicher, wie sehr ich sie vermisst hatte. Wir zogen einige Blicke am Flughafen auf uns, weil wir gleichzeitig lachend und weinend voreinander auf und ab hüpften und uns in die Arme schlossen. Wir konnten es beide nicht so richtig glauben.

 

Die nächsten zwei Wochen wurden erfüllt von Sonne, salzigem Meerwasser, Bier, neuen Freunden und der Hoffnung, nie wieder in den grauen Novembernieselregen Norddeutschlands zurückfliegen zu müssen. Leider war der Rückflug unausweichlich, aber die Zeit davor sollte so bunt und schön, wie möglich gestaltet werden. 

 

Die Cayman Islands oder Kaimaninseln sind nicht nur wunderschön, sie werden auch gern als Steuerparadies bezeichnet. Aus diesem Grund gibt es unglaublich viele Firmen - insbesondere Banken auf der Insel. Neles Mitbewohnerin hat mir eine Geschichte darüber erzählt, warum die Einwohner der Cayman Islands keine Steuern zahlen müssen. Bei meinen Nachforschungen habe ich versucht, ihre Angaben zu überprüfen. Dabei bin ich auf eine Legende gestoßen. Fügt man die Puzzle Teile zusammen ergibt sich folgende Geschichte: 

(Anmerkung: diese Legende beruht nicht auf nachgewiesenen Fakten. Hier gilt "never let the truth get in the way of a good story")

 

Es geschah in einer Februarnacht 1794 (der gefürchtete und berüchtigte Pirat Blackbeard war zu diesem Zeitpunkt schon seit vielen Jahren tot) als sich zehn Handelsschiffe auf den Weg von Jamaika nach England machten. Angeführt wurden sie von der "HMS Convert". Es ist gut möglich, dass der Kapitän John Lawford an diesem verhängnisvollen Tag davon ausging, die Cayman Islands bereits hinter sich gelassen zu haben und den Kurs leicht nach Norden veränderte, bevor er zu Bett ging. Einer anderen Geschichte nach bemerkten die Caymanians, dass sich einige Schiffe viel zu nah an ihrer Küste befanden. Sie waren sich des wunderschönen, aber so gefährlichen Riffs bewusst, das um die langsam im Meer versinkenden Inseln entstanden war. Also rannten sie zum Strand und schrien so laut sie konnten. Sie hoben ihre Arme abwehrend und warnend in die Höhe und versuchten die Mannschaft auf den Schiffen um jeden Preis auf sich und die drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Bemerkt wurden sie. Allerdings wurden ihre Rufe und das Gefuchtel ihrer Arme von der Besatzung fatalerweise falsch interpretiert. Sie dachten, die Einwohner wären Schiffsbrüchige und würden um Hilfe rufen. Also lenkten sie die Schiffe auf den Strand zu und krachten in das Riff.

Woran genau es lag, dass die zehn Schiffe an diesem verhängnisvollen Tag versanken kann ich nicht sagen, ich war schließlich nicht dabei. In jedem Fall war es zu spät. Die Schiffe zerbrachen an den spitzen Korallenriffen und versanken eins nach dem anderen im Meer.

Die Caymanians dachten nicht lange nach, als sie die zerberstenden Holzplanken und die Schreie hörten. Todesmutig stürzten sie sich mit ihren Ruderbooten in die Fluten und retteten die meisten Passagiere und Mannschaftsmitglieder. Was sie nicht wussten: unter ihnen befand sich eine sehr wichtige Person: ein Sohn von König Georg III. Als dieser seinem Vater vom Mut und der Selbstlosigkeit der Einwohner erzählte, verkündete König Georg III, nach dem mit Sicherheit die Hauptstadt George Town benannt wurde, dass diese freundlichen Menschen niemals Steuern zahlen oder Abgaben jeglicher Art leisten müssten. Dieses ungeschriebene und nirgends belegte Versprechen gilt bis zu diesem Tag. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben die Caymanians noch heute und erzählen jedem, der sie hören will, diese Geschichte. 

 

Wo wir gerade von Korallenriffen sprechen: ich wünschte, ich könnte länger die Luft anhalten! Auf den Caymans habe ich mich mit Neles Mitbewohnerin erstmals am Freediving versucht. Und ich muss sagen, dass es mir so viel mehr Spaß bringt, als mit einem Schnorchel an der Oberfläche zu paddeln... Wir haben Schildkröten, Fische, Krebse, ein Ammenhai Baby und viele Rochen gesehen. Und ich habe endlich verstanden, dass es so viel mehr unter der Oberfläche gibt, als ich jemals erwartet hätte. Ich möchte jetzt wirklich lernen, wie man taucht. Das Meer ruft! Hoffentlich werde ich eines Tages zurückkehren, um es hier zu lernen. 

 

Einen besonders schönen Tag hatten Nele und ich, als wir mit Freunden nach Stingray City gefahren sind. Stingray City ist eine absolute Touristenattraktion. Das Wasser sieht einfach unwirklich aus. Durch eine Sandbank weit draußen im Meer hat es eine unecht erscheinende hellblaue Farbe. Überall sind Stachelrochen, die durch das jahrelange Füttern so zutraulich sind, dass man sie anfassen, aus der Hand füttern und auf den Arm nehmen kann. Es war unglaublich!! Aber außer uns waren noch einige andere Boote dort und viele Touristen im warmen flachen Wasser. Wir waren dementsprechend sehr dankbar für die private Bootstour. So konnten wir außerdem an abgelegenere Orte fahren und in einem farbenfrohen Korallengarten schnorcheln. Dort haben wir uns wie die einzigen Menschen im Ozean gefühlt, einen Aal gefüttert und ein paar weitere Stachelrochen beobachtet. Es war einfach ein perfekter Tag, den wir in einer Strandbar mit den Füßen im Sand und einem kalten Bier in der Hand ausklingen ließen. 

 

An einem anderen Tag haben wir einen Roadtrip um die Insel gemacht, orangefarbene Seesterne im flachen Wasser beobachtet, frischen Fisch in East End mit Blick aufs Meer gegessen und den Sonnenuntergang an Neles Lieblingsstrand genossen. 

 

Doch auch die Tage, an denen wir nicht großartige Pläne verfolgt haben, waren schön. Die Nähe zum Meer, der Geruch des Sumpfes, der die Insel umgibt, die plötzlichen starken Regenfälle und die danach folgenden Regenbögen und der Sonnenschein, das Salz auf der Haut und in den Haaren, die lässige Art der Inselbewohner und die gemütlichen Bars waren alle mit dafür verantwortlich, dass ich die Cayman Islands in mein kleines Herz geschlossen habe. 

 

Diese ganzen Erinnerungen nehme ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge mit nach Hause. Jedes mal, wenn ich an einen Ort reise, an dem es mir sehr gefällt, fühlt es sich an, als würde ich ein Stückchen von mir dort lassen, wenn ich gehe. Ob ich mich irgendwann nicht mehr vollständig fühlen kann? 

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