Nachdem Sascha zurück nach Christchurch geflogen ist, habe ich mich einfach Richtung Westen an die Straße gestellt und treiben lassen. Bzw. fahren, wenn man genau sein will.
Von Queenstown ging es am ersten Tag bis nach Makarora, weil meine letzte Mitfahrgelegenheit, eine super coole Irin, dort zu einem 50. Geburtstag eingeladen war. Es war großes Glück, dass ich beschlossen habe, dort ebenfalls zu bleiben und nicht weiter zu trampen, weil an der Westküste wegen des Osterwochenendes alle Unterkünfte ausgebucht waren, wie ich später von meiner italienischen Zimmermitbewohnerin erfuhr. Mit der erkundete ich dann noch die Blue Pools, die ihren Namen wirklich verdienen!
Als ich am nächsten Tag gegen Mittag meine Reise in Richtung Westen fortsetzen wollte, hielt das erste Auto. Am Steuer saß ein bekanntes Gesicht. Es war Etay aus Israel, den ich aus einem Hostel in Wanaka kannte. Wie klein die Welt ist! Mit ihm ging es dann durch Regenwald und an wolkenverhangenen Bergen, Gletschern, Wasserfällen und wilden Küstenabschnitten vorbei nach Hokitika. Etay beschloss dort ebenfalls eine Nacht zu bleiben. Am nächsten Tag fuhr er mit mir noch bis Greymouth und dort trennten sich unsere Wege. Ich wurde erst von einer älteren Neuseeländerin zu einem besseren Trampspot gefahren und dann von zwei deutschen Mädels aufgesammelt, die vor einigen Jahren nach Neuseeland ausgewandert sind. Mit Johanna und Sarah habe ich mich auf Anhieb super verstanden, also erkundeten wir die Pancake rocks (die ihren Namen ebenfalls verdient haben) und wanderten noch drei Stunden an einem braunen Fluss entlang durch dschungelartiges Gebiet. Hier ist nichts mehr von den Herbstfarben zu sehen. Es sieht eher nach den Tropen aus. Palmen und Farne überall. Wie "In einem Land vor unserer Zeit". Bei einigen Vögeln musste ich zweimal hinschauen, um mich zu vergewissern, dass wir nicht gleich von einem Flugsaurier angegriffen werden würden.
Die nächste Nacht verbrachte ich in einem Hostel direkt am Strand in Punakaki. Es war so unfassbar schön, den Wellen zu lauschen an diesem stürmischen Tag.
Und wie es der Zufall so wollte, kamen am darauf folgenden Tag eine deutsche Mutter und Tochter an mir vorbei, die sich sofort bereit erklärten, mich bis Westport mitzunehmen. Und weil es so nett war und obwohl ich eigentlich nie nach Karamea wollte, beschloss ich mit den beiden bis zu ihrem Endziel zu fahren.
Stellt euch Karamea bitte so vor: ein winziges Örtchen, das mit Bergpanorama am Ende der Straße liegt. Bei Wanderern ist es sehr beliebt, weil es entweder der Start- oder Zielpunkt des Heaphy Tracks ist. Es gibt deutlich mehr Kühe als Einwohner und überall riecht es nach Kuhscheiße. Highlight: es gibt einen Baum, der aussieht, als würde er laufen. Er sieht wirklich aus, als wäre er einem Herr der Ringe Film entsprungen. Den Häusern nach zu urteilen, leben hier hauptsächlich Farmer, ein paar Spießer, ein paar Messies und der ein oder andere Hippie. Auf der Straße ist niemand. Ich laufe zehn Minuten stumpf geradeaus, bis ich das Dorfzentrum erreiche und bin super überrascht am Osterwochenende um 17:30 Uhr einen offenen Supermarkt zu finden. An der Kasse bringe ich diese Freude zum Ausdruck, aber der Kassierer sieht mich nur verwirrt an "Das hier ist eine sehr touristische Gegend. Wir haben natürlich jeden Tag geöffnet." Ich sehe mich im Laden um. Ein paar Meter hinter mir schlendert ein schlammbespritzer Farmer in Gummistiefeln langsam auf die Kasse zu. Wir sind die einzigen Kunden. "Ja", sage ich, "sehr touristische Gegend hier".
Inzwischen habe ich es nach Nelson geschafft. Hier bin ich nun schon seit fast einer Woche. Bin zum Mittelpunkt Neuseelands gelaufen, war in einem isländischen Film mit englischen Untertiteln im State Cinema und hatte den besten Mädelsabend seit ewigen Zeiten.
Sowieso ist mir eine Sache klar geworden: das ist das erste Mal seit meiner Abreise, dass ich absolut unabhängig und nur für mich entscheiden kann, was ich tun will. Von Tag zu Tag. So schön es ist, Besuch aus der Heimat zu bekommen oder an einem Ort länger zu bleiben und zu arbeiten, für mich ist es noch schöner allein zu sein. Das klingt jetzt sicher total traurig und auch irgendwie gemein. So ist es aber nicht gemeint. Ich bin auch gar nicht allein. In meinem Hostel ist ein ganzer Haufen cooler Menschen, mit denen ich wandern gehen oder rumhängen oder über den Sinn des Lebens philosophieren kann. Aber dann habe ich zum Beispiel Lust aufs Kino. Und gehe einfach. Alleine. Und es ist gar nicht komisch. Andere Leute sind auch allein da. Ich brauche gerade niemanden. Und das meine ich nicht negativ. Mir geht es einfach gut, wo ich bin. Mit mir selbst. Mir fehlt nichts. Es ist Herbst. Meine Lieblingsjahreszeit. Die Blätter färben sich und fallen in Nelson und es stürmt und regnet. Durch die schützende Wolkendecke ist es nicht kalt draußen. Ich laufe durch die nächtlichen Straßen, höre dem Wind zu, wie er durch die Bäume fegt (für mich vermutlich das schönste Geräusch der Welt) und atme ein. Die Luft riecht frisch und sauber nach vergangenem Regen. Und ich fühle mich lebendig. Mein Herz hat das Schlagen und meine Lunge das Atmen neu gelernt.
Diese seltsame Euphorie über das süße Alleinsein kann einer der Gründe sein, warum ich etwas plane, was vor ein paar Monaten noch absolut undenkbar war. Ich plane vier Tage den Abel Tasman National Park Coast Track zu laufen. Schlafen werde ich in Hütten. Es gibt dort fließendes kaltes Wasser, Klos, Matratzen und eine Feuerstelle als Wärmequelle, aber das ist wohl schon alles. Die 75 Dollar pro Nacht sind da ein ganz schön stolzer Preis. Corné, ein Niederländer aus meinem Zimmer leiht mir seinen Schlafsack und seinen Campingkocher. Mein Essen für vier Tage muss ich mitnehmen. Handyempfang gibt es auf dem Track nicht. In diesem Sinne: Macht's gut ihr alle und bis dann!
Kommentar schreiben
Uncle Didi (Montag, 06 Mai 2019 23:59)
Hi Linda.
Ich fahre gerne Achterbahnen oder ähnliches, aber mich irgendwo in die Tiefe zu stürzen wäre nix für mich. Ich würde sicherlich einpullern :-D. Respekt! Du bist jetzt wieder in Australien wie ich hörte.
Gruß Dieter
Heikepeters15 (Samstag, 27 Juli 2019 10:24)
Hey, ich bin jetzt erst auf instagram. Aber besser spät als nie. Dein, ich bin gern allein, habe ich auch oft. Es geht dabei eher um eine gewisse Offenheit, da kein Begleiter dabei ist. In der Singel Situation, kommen Begegnungen zustande und das ist bereichern. Ich kann das nur bestätigen.