Vorbereitung:
Ich habe soeben verstanden, wie einfach es ist wandern zu gehen. Alles was ich brauche, ist ein kleiner Campingkocher, eine kleine Gasflasche, mein Schweizer Taschenmesser, meinen Göffel (Kombination aus Gabel und Löffel) einen Schlafsack (eventuell noch ein Zelt und eine Isomatte), die Klamotten, die ich trage, ein paar Unterhosen, was Gemütliches zum drin schlafen, gutes Schuhwerk, Essen und Trinken. Und einen kleinen Erste-Hilfe-Koffer. Das ist alles. Das wars.
Was ich noch brauche: Blasenpflaster (meine Schuhe sind nämlich scheiße), Tape (man weiß ja nie...), eine Taschenlampe, meinen E-Book-Reader, ein Handy (im Flugmodus), ein kleines Buch und einen Stift.
Was noch gut wäre: ein Kompass. (völlig überflüssig für den Abel Tasman Coast Walk)
Außerdem ist wandern einfach. Einen Fuß vor den anderen. Einfach atmen. Einfach laufen. Einfach denken. Oder nichts denken. Wie Meditation. Unglaublich, dass etwas so Einfaches für mich und meine entzündeten Gelenke vor ein paar Monaten noch unvorstellbar war. Ein absolutes Ding der Unmöglichkeit. Der Weg vom Bett ins Bad war mit den fast fünf Metern schon erschreckend weit und beschwerlich. Fast nicht machbar.
Aber jetzt stehe ich hier.
Tag 1
Ich bin aufgeregt. Der erste Abschnitt soll der langweiligste sein. Hier sind noch viele Menschen unterwegs, die nur einen Tagesausflug machen und die richtig spektakulären Orte erreicht man wohl erst im nördlichen Teil des Parks. Aber ganz ehrlich, wenn das hier der langweilige Teil ist, kann ich es gar nicht erwarten, den beeindruckenden Teil zu sehen. Ich laufe zu jedem Aussichtspunkt oder Strand, der mit Schildern ausgewiesen ist. Die Küste ist einfach unglaublich. Wie gemalt. Oder wie aus einem Film. Als ich am Nachmittag an der Hütte ankomme, spüre ich meinen Knöchel und mein Knie ganz schön. Der Weg ist zwar super ausgebaut, aber es geht schon bergauf und bergab. Für ein Mädchen aus Norddeutschland ist der Weg zwar keine echte Herausforderung, aber schon anstrengend. Vor allem, weil ich drei Liter Wasser und das komplette Essen für die vier Tage auf meinem Rücken trage. Mein Handy ist im Flugmodus. Ich benutze es lediglich für Fotos. So viele Fotos!!! Für die nächsten Tage wird mich niemand erreichen. Es könnte ein Krieg ausbrechen oder ein medizinischer Durchbruch gelingen, ich werde davon nichts erfahren, bis ich wieder in der Zivilisation bin. In vier Tagen. - Zumindest fast. Zumindest hatte ich mir das so vorgenommen. An der Hütte Anchorage angekommen lese ich ein Schild: "Abel Tasman Free WIFI". Oh nein!! Jemand hielt es wohl für eine gute Idee, an mehreren Stellen im Nationalpark WLAN für die Touris anzubieten. Und ausgerechnet heute kommt eine neue Folge Game of Thrones raus. Ich kann nicht anders und erliege der Versuchung. Mit einem geliehenen Ladekabel von einer Wanderin sitze ich bei furchtbarer Internetverbindung auf meiner 80 Dollar Pritsche und schaue Game of Thrones. Stockend. Etwa alle 10 Sekunden friert das Bild ein. Anschließend schalte ich das WLAN wieder aus und halte mich von nun an meinen Digital Detox Plan.
Tag 2
Zum Frühstück gibt es Porridge (ich benutze hier nur das englische Wort, weil Haferschleim einfach so gar nicht geil klingt) am Strand. Anschließend mache ich mich auf den Weg zu den Cleopatra Pools. Dafür laufe ich von der Küste weg in den immer kühler werdenden Wald, bis ich zu dem kleinen Fluss mit einem idyllischen natürlichen Pool und kleinem Wasserfall komme. Ich habe den hirnrissigen Vorsatz hier schwimmen zu gehen, denn es gibt an den Hütten keine Möglichkeit zu duschen. Es ist niemand zu sehen, also ziehe ich mich auf den glitschigen Steinen bis auf die Unterwäsche aus und rutsche ins Wasser. Was soll ich sagen? Das war einfach eine selten dämliche Idee. Das Wasser ist so kalt, dass es sich wie Nadelstiche auf der Haut anfühlt. Ich schwimme so schnell ich kann zur anderen Seite und klettere auf die Steine. Sie sind auch kalt. Weiter oben, stromaufwärts scheint die Sonne. Ich klettere also halb erfroren und unbeholfen weiter nach oben. In der Sonne ist es auszuhalten. Ich beschließe ein bisschen zu trocknen. Die Situation hat nur einen Haken: es gibt keinen Weg hinunter ohne wieder durch den hüfttiefen Pool zu waten. Und dann höre ich auch noch Stimmen. Zwei Wanderer mit einem Selfiestick haben sich in meine kleine Idylle verirrt. Ich versuche mich zu verstecken, bin aber vermutlich auf allen Selfies mit drauf.
Meine Füße haben bereits die ersten Blasen. Trotzdem laufe ich den Umweg zu den Cascade Falls. Der Weg dorthin ist abenteuerlich. Einmal muss ich an einem Abgrund vorbei unter einem umgestürzten Baum durchkriechen - mit Rucksack. Ja, ich bin auch kurz steckengeblieben. Auf dem Weg in den Wald hinein folgen mir kleine Vögel. Ich komme mir fast vor wie in einem Disney Film. Leider werde ich später darüber aufgeklärt, dass die Vögel uns Menschen nur folgen, weil unser Geruch Insekten anzieht, die die Vögel fressen möchten. Bin wohl doch keine Prinzessin. Die Nacht verbringe ich in Barks Bay.
Tag 3
Das heutige Ziel ist Awaroa. Den gleichnamigen Wasserzufluss kann ich nur bei Ebbe überqueren. Ich bleibe also über Nacht in der Hütte und habe am nächsten Tag noch den gesamten Vormittag, bevor ich dann ab kurz vor 12:00 das Inlet überqueren kann. Auf dem Weg dorthin wird mir langweilig. Zum Glück treffe ich irgendwann auf einen Schweizer, mit dem ich am Vortag schon ein paar Kilometer gelaufen bin und zwei Franzosen. Die drei sind offensichtlich an hügeliges Gelände gewöhnt und legen ein ganz schönes Tempo vor. Ich bin froh, dass sie mich mitziehen. Alleine wäre wohl doch öfter stehengeblieben um als Fotopausen getarnte Verschnaufpausen zu machen. Am frühen Nachmittag erreiche ich also schon die Hütte. ich mache Feuer und unterhalte mich mit den anderen Wanderern. Eine von ihnen hat 8 Liter Wasser und 3 Liter Wein dabei. Sie vertraut der Wasserqualität im Abel Tasman nicht. Man kann sich hier fiese Parasiten einfangen. Sie gibt aber zu, dass ihr Rucksack ganz schön schwer ist. Von dem Wein bekomme ich etwas ab.
Tag 4
Wie Tiere hinter Gitterstäben im Zoo warten wir darauf, dass das Wasser zurückgeht und wir den Fluss und das Watt durchqueren können. Manche versuchen es bereits vor der angegebenen Zeit um 12:00 mittags, weil sie noch einen weiten Weg vor sich haben. Die meisten geben aber auf und warten mit uns ab. Die, die nicht aufgeben wollen, werden sehr nass. Ich wandere heute mit einer Franzosin, die das gleiche Wassertaxi nehmen muss, wie ich. Wir haben ein paar Stunden, um zum Zielstrand unserer Wanderung zu gelangen. Die Natur ist so wunderschön. Ich kann mich am Meer mit seinen sich immer wieder verändernden Blautönen und dem Wald mit seinen unzähligen Grünschattierungen einfach nicht satt sehen. Am Nachmittag erreichen wir Tōtaranui. Hier werden wir von unserem Wassertaxi eingesammelt und zurück zum Ausgangspunkt gebracht. Auf dem Weg sammelt das Taxi noch ein paar Kanufahrer ein und stoppt an einem Felsen, weil sich dort oft Neuseeländische Seebären tummeln. Heute haben wir Glück.
Zurück in Marahau fährt unser Taxiboot auf den Anhänger eines Teckers und wird von diesem an Land gezogen. Ich gönne mir mit meiner Wanderbegleitung noch einen Wein - direkt aus der Flasche - und nehme anschließend den Bus zurück nach Nelson.
Meine Füße sind von Blasen übersät und das Tape, das ich über die Blasenpflaster geklebt habe, reißt mir die Haut von den Fußsohlen. Meine Schultern schmerzen und meine Muskeln haben einen ordentlichen Kater. Ich brauche dringend eine Dusche und meine Haare viel Conditioner und eine Bürste. Dennoch bin ich überglücklich und auch ein kleines bisschen stolz. Der Coast Walk ist sicher nicht der anspruchsvollste in Neuseeland, aber irgendwo muss ich schließlich anfangen. Ein Schritt nach dem anderen.
Kommentar schreiben